In unserem Alltag erleben wir, im Umgang mit älteren und pflegebedürftigen Menschen, oftmals sehr emotionale Augenblicke. Heute möchte Sie einer unserer Mitarbeiter, Herr S., an einem solchen teilhaben lassen.
Als Herr S. noch als aktiver Krankenpfleger in einer anderen Einrichtung arbeitete, erlebte er Folgendes…
„Eine etwas religiöse Situation aber wie ich meine doch sehr menschliche hat sich mal in meinem Berufsalltag ereignet. Diese möchte ich Ihnen gerne schildern. Allerdings geht es dabei um einen Bereich des Pflegealltags, über den nicht so gerne gesprochen wird…
Während meiner Zeit als aktiver Krankenpflege ereignete sich folgende Situation:
Eine damalige Patientin, die ich bereits über Monate gepflegt und betreut hatte wies mir mit ihrem Zeigefinger, dass ich näher zu ihr kommen solle damit sie mir etwas ins Ohr flüstern kann.
Sie sagte während der morgendlichen Pflege folgende Worte, die ich nie mehr in meinem Leben vergessen werde. Sie hauchte mir ins Ohr: „Kannst du mir was versprechen?“
Ich: „Natürlich?“
Sie: „Wenn ich irgendwann sterben sollte und ich noch hier bei dir sein sollte, kannst Du dann bitte für mich das Fenster öffnen?“
Ich: „Darf ich fragen, warum ich das tun soll?“
Sie: „Damit meine Seele besser in den Himmel fliegen kann.“
Ich merkte jetzt schon wie es mir etwas klamm ums Herz wurde und versuchte es zu überspielen.
Ich: „Ach Frau H., soweit sind wir noch lange nicht.“
Sie begann plötzlich bitterlich zu weinen. Sie sagte dann etwas, was mir vorher gar nicht so bewusst war: „Hier ist doch alles verschlossen und nie kann hier richtig frische Luft rein.“
Dazu muss man wissen, das Gebäude in dem ich arbeitete, war vollkommen klimatisiert und nur ein kleines Kippfenster konnte in jedem Zimmer geöffnet werden.
Frau H. hatte in der Vergangenheit oft von der Kriegszeit und der Situation bei Bombenangriffen und den endlosen Stunden im Bunker berichtet – diese haben wahrscheinlich auch den Wunsch des offenen Fensters sehr geprägt. Vor diesem Gefühl des Bunkers hatte Frau H. große Angst – dass Ihre Seele nicht raus könne und hier in dem Gebäude festsitzen würde. Ich musste hoch und heilig versprechen, dass ich daran denke.
Ich: „Ich verspreche Ihnen hoch und heilig und bei allem was mir lieb ist, dass wir zum Zeitpunkt Ihres Ablebens für Sie das Fenster öffnen werden.“
Dies gab ich in meinem Team weiter. Für Notfälle hatten wir einen Schlüssel, um das große Flügelfenster in jedem Zimmer öffnen zu können. Ich denke es war einfach vorher bestimmt – und meine damaligen Kollegen haben mir auch bestätigt, dass Frau H. nach langer Krankheit dann friedlich sterben würde. Dies geschah in meinem ersten Dienst nach einem zweiwöchigen Urlaub.
Alle Verwandten von Frau H. waren an diesem Tag anwesend und ich werde die Gesichter und die Äußerungen der Familie nie vergessen als ich das Fenster in dem Moment öffnete, als Frau H. verstarb.
Der Sohn sagte zu mir: „ Sie können doch jetzt nicht das Fenster öffnen, draußen sind Minus 15 Grad?!“
Ich: „Ihre Mutter hat mir vor Monaten anvertraut – und ich musste es versprechen – dass ich in der Stunde ihres Ablebens das Fenster öffne.“
Der Sohn: „Aber warum denn das? Da wird es doch saukalt hier drin.“
Ich: „Ihre Mutter wollte, dass ihre Seele aus diesem Gebäude ungehindert nach draußen kann, um in den Himmel zu fahren.“
Nach diesem Satz von mir brachen bei allen Anwesenden die Dämme, inklusive bei meiner Person. Mein Lohn für dieses Handeln war die tiefe Dankbarkeit der gesamten Familie.
Ich hoffe, dass ich Sie mit dieser Geschichte nicht gelangweilt habe und Ihnen ein authentisches Bild des so oft benutzten „Pflegealltag“ zeichnen konnte. Diese Geschichte hat mich damals zu Tränen gerührt und macht es noch heute.“
Herr S.,
PAW-Mitarbeiter